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Kurzinterviews mit geflüchteten Kindern

aufgezeichnet von Antje Reich (Lehrerin),
die die Kinder in der Schule unterrichtet

L. (Mädchen, damals 8 Jahre)

Wir sind nachts um 1 Uhr von daheim losgelaufen und sind dann vom Libanon mit einem normalen Schiff in die Türkei.
Meine Mama hat mir erklärt, dass ich neben ihr bleiben muss, denn wenn ich sie nicht mehr sehe findet sie mich nicht mehr.
Von der Türkei sind wir mit einem „Luftboot“ (Schlauchboot) nach Griechenland gefahren. Auf dem Boot waren 80 Leute. Wir hatten nicht alle Platz.
Ich wollte nicht auf das Boot, aber mein Papa hat gesagt ich darf nicht hierbleiben.
Nach 5 Stunden wollte das Schiff untergehen. Ich war im Wasser und da kam ein Schiff, das uns gerettet hat.
Die Angst, dass ich sterbe war schon in mir. Aber ich hatte viel größere Angst, dass eines meiner Geschwister stirbt oder meine Eltern.

 

 


W. (Junge, damals 9 Jahre)

Wir mussten fliehen, weil alle Männer unter 60 Jahren und unter 120 kg in den Krieg ziehen mussten. Mein Papa konnte nicht, weil ich keine Mama mehr habe und wer hätte sich dann um uns kümmern sollen? Um 1 Uhr nachts haben wir uns von meiner Oma verabschiedet und sind losgelaufen. Wir mussten 10 000 Euro zahlen.
Bevor wir auf das Luftboot gegangen sind, haben die Männer alle unsere Sachen ins Meer geworfen. Wir durften nur die Rettungsweste anlassen, die wir gekauft hatten. Alle unsere Kleider und auch andere Schwimmringe und Spielzeug haben sie uns aus der Hand gerissen und ins Meer geschmissen.
Eine Frau hatte ein Baby dabei und eine Tasche voller Milch. Sie musste sie wegschmeißen und das Baby hatte nichts zu essen.
Ich hatte solche Angst. Aber mein Vater hat mich beruhigt.
In der Nacht war es eiskalt. Aber ich konnte mich nicht hinlegen. Es war kein Platz. Danach sind wir gelaufen in einem Wald. Sehr lange. Wir haben immer Taschen mit Kleidern gefunden von Menschen, aber die Menschen waren nirgends.

 

 


W. (Junge, damals 11 Jahre)

Auf dem Boot war es schrecklich. Aber wir hatten Glück. Es waren 3 Boote und wir mussten lange warten und waren auf dem 3. Boot.
Meine Eltern wollten unbedingt auf das Luftboot, weil die Männer Löcher in die Holzboote machen, damit sie untergehen und wir sterben, wenn sie ihr Geld haben.
Das erste Boot ist untergegangen. Das 2. wurde erwischt. Wir wurden auch erwischt, aber das Boot, das uns erwischt hat, hat uns aufgenommen und gerettet und uns den Weg gezeigt.
Ich hatte auch nicht so viel Angst zu sterben. Aber ich hatte solche Angst um meinen kleinen Bruder und meine Eltern.
Wir haben auf dem Boot die ganze Zeit gebetet zu Gott. Ich auch.


 

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